Wenn die Seele eine dunkle Brille anzieht: Tabuthema mentale Gesundheit
Die heutige Umfrage von Stefan Trappitsch zum Thema mentale Gesundheit inspiriert mich, nach meinem letzten Post vor einem Jahr (Psychische Erkrankungen) dieses Thema wieder einmal aufzugreifen. Als Coach bin ich in besonderem Masse für Fragen der mentalen Gesundheit sensibilisiert, denn ich muss die Anzeichen erkennen und meinen Klienten nötigenfalls einen Arztbesuch empfehlen.
Als Coach begegnen mir immer wieder Menschen in seelischen Notlagen. Denen es einfach nicht gut geht. Die den Eindruck haben, dass nichts klappt, dass sie nichts von alledem, was sie sich wünschen, erreichen. Dass das ganze Leben ausweglos ist.
Vor allem kommt dies im Zusammenhang mit Jobsuche und beruflicher Neu-Orientierung zum Ausdruck.
Iris, die jahrzehntelang in jedem Job Probleme hatte, die nie wieder in ihrem erlernten Beruf arbeiten will und die einfach nicht mehr weiterweiss, «weil es einfach nie funktioniert».
Alina, die jahrelang beruflich einwandfrei funktionierte, aber sich an ihren freien Tagen bewusstlos betrank und die Arme ritzte, bis ihre Wohnung einem Blutbad glich. Und jedesmal selbst die Ambulanz rief.
Georg, dem es nicht gutgeht, egal, was seine Umgebung für in tut, und der mit dem Alleinleben nicht zurechtkommt: «Es hilft ja doch einfach nichts».
Johannes, der nie wieder arbeiten will, weil er «keine Menschen mag».
Caroline, die die Ursache für ihre Arbeitslosigkeit nur bei der Gesellschaft sieht, die 50plus aus reiner Boshaftigkeit keinen Job geben will.
In vielen Gesprächen höre ich, wie stark Misstrauen und Ablehnung gegenüber Psychologie und Psychiatrie verbreitet sind. Die moderne Psychologie und Psychiatrie haben enorme Fortschritte in der Behandlung psychischer Erkrankungen erzielt. Therapeutinnen, Therapeuten und Pflegefachleute arbeiten mit grossem Engagement, Geduld und viel Zeit mit ihren Patientinnen und Patienten.
Je nach Blickpunkt ist mentale Gesundheit ein Thema, das öffentlich diskutiert wird. Geht es aber darum, dass Betroffene sich zu ihrem akuten Zustand offen äussern, wird es schwierig. Mentale gesundheitliche Probleme sind immer noch keine Krankheit, wie jede andere. Dass man seine Probleme nicht offenlegt, wie einen Schnupfen, ist klar. Zu gross sind die Bedenken, dass das Problem aus dem Kollegenkreis in die ganze Welt getragen wird und dass die Betroffenen nicht mehr ernst genommen werden und im schlimmsten Fall sogar ihren Job verlieren.
Vor mentalen Gesundheitsproblemen ist niemand gefeit. Es reicht, dass mehrere Problembereiche aufeinandertreffen, wie beispielsweise ein schwieriger Vorgesetzter, ein schwieriges Kind und eine besonders anspruchsvolle berufliche Aufgabe, und schon nach kurzer Überlastung kann die Seele sich eine dunkle Brille aufsetzen.
Einerseits sollte im öffentlichen Dialog über die mentale Gesundheit ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass nicht nur der Körper, sondern auch die Seele erkranken kann. Einer seelischen Erkrankung haftet heute noch vielerorts zu Unrecht der Ruf von «verrückt, gestört, geisteskrank und irre» an. Solange mentale Gesundheitsprobleme immer noch anders bewertet werden, als eine Lungenentzündung oder eine Hüftgelenks-OP, muss man sich überlegen, wie man damit im akuten Moment umgeht. Eine seelische Erkrankung kann viele Gesichter haben.
Andererseits sollten die Menschen dazu motiviert werden, sich professionelle Hilfe zu holen, wenn sie sich nicht gut fühlen, wenn es ihnen nicht gut geht. Jeder Mensch hat seine Hochs und seine Tiefs. Das allein ist noch kein Grund zur Sorge. In der Normalsituation kann man damit gut umgehen, man trinkt einen Kaffee, geht marschieren, trifft sich mit Freunden oder schimpft mal kräftig.
Wenn die Seele jedoch eine dunkle Brille anzieht, wenn man über einen längeren Zeitraum, mehr als einige Tage, ein diffuses Unwohlsein, eine unerklärliche Trauer, ein unüberwindbares «Unglücklichsein-und-nicht-weiss-warum», ein «Es-geht-einfach-gar-nichts» in sich verspürt, sollte man sich dringend einem guten, qualifizierten Psychologen/einer Psychologin oder mindestens dem Hausarzt/der Hausärztin für ein Gespräch anvertrauen, um den bestmöglichen Weg zur Hilfe herauszufinden, bevor es zu Schlimmerem kommt wie Job- und Beziehungsverlust.
Manchmal ist eben das System krank, und das Individuum leidet und erkrankt. Ein berühmtes Beispiel war Prinzessin Diana, die eigentlich recht bodenständig und gesund war. Erst die ausweglose familiäre und beziehungsmässige Situation hat ihre psychischen Probleme ausgelöst. Sie reagierte mit einer Ess-Störung.Viele psychologische und psychiatrische Erkrankungen lassen sich mit Hilfe von Therapie und zeitweiser Medikation wenn nicht heilen so doch sehr gut unter Kontrolle halten.
Wichtig neben dem öffentlichen Dialog über mentale Gesundheit und einer veränderten Einstellung dazu ist die Prävention. Diese setzt schon im frühen Kindesalter ein. Eine stabile, behütete und gesunde Kleinkinder- und Kinderzeit sorgt für psychische Stabilität und Resilienz.
Fasse Mut, kümmere Dich um Deine psychische Gesundheit, sprich mit einer medizinischen Fachperson! Deine psychische Gesundheit ist genauso wichtig, wie Deine körperliche Fitness!
Es gibt sehr gute psychologische und psychiatrische Unterstützung, die von den Krankenkassen bezahlt werden. Das Schreckgespenst «Irrenhaus» ist schon längst überholt: Angepasste Medikation in einer akuten Krise wird meist sehr rasch von verhaltensbasierten und Gesprächstherapien einzeln oder in Gruppen abgelöst.